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An Nutztiere werden noch immer viel zu viele Antibiotika verabreicht - und damit die Resistenzbildung auch beim Menschen verstärkt. Martin Häusling, Abgeordneter im Europäischen Parlament und dort Mitglied im Agrar- sowie im Umweltausschuss, kommentiert zwei kürzlich vorgelegte Veröffentlichung zum Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung:

„Resistenzen gegen Antibiotika gehören zu den dringendsten gesundheitlichen Herausforderungen unserer Zeit. Vielen Menschen machen sie zurecht große Sorgen. Befeuert werden diese Resistenzen durch den Einsatz von Antibiotika - beim Menschen, aber auch in der Tiermast. Die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt sind untrennbar miteinander verbunden, daher müssen gemäß eines ganzheitlichen „One Health“ Ansatzes alle Sektoren zusammenarbeiten. Eine neue Erklärung der Vereinten Nationen enthält deshalb die Verpflichtung, bis 2030 die Menge an antimikrobiellen Mitteln, die weltweit im Agrar- und Lebensmittelsektor verwendet werden, deutlich zu reduzieren. Gelingen soll das, indem die Umsetzung von Maßnahmen zu Prävention und Kontrolle von Infektionen priorisiert und stärker finanziert wird.

In Deutschland liegt noch einiges an Arbeit vor uns, um den Einsatz von Antibiotika in der Tiermast einzudämmen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hat gestern Zahlen zu Abgabemengen von Antibiotika in der Tiermedizin für das Jahr 2023 veröffentlicht. Fazit: die in der Tierhaltung eingesetzten Antibiotika stagnieren auf zu hohem Niveau. Für die Hälfte der Antibiotika-Wirkstoffklassen steigt der Einsatz sogar. Fatal!

So darf es nicht weitergehen. Deshalb war in der Farm to Fork Strategie der EU-Kommission eine Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung um 50 Prozent vorgesehen. Das Ziel bleibt richtig und wichtig. Statt weiterhin großflächig Antibiotika in der Tiermast einzusetzen, müssen unsere Tierhaltungssysteme generalüberholt werden. Klasse statt Masse ist das Stichwort: bessere Haltungsbedingungen, sorgfältige Rassenauswahl, gute Betreuungsschlüssel. Tierhaltung mit weniger Antibiotikaeinsatz ist absolut machbar.“

Hintergrund:

Die Maßnahmen gegen antimikrobielle Resistenzen müssen verstärkt werden, hat die UN Generalversammlung Ende September erklärt.

Zur UN-Erklärung: https://www.unep.org/news-and-stories/press-release/world-leaders-commit-decisive-action-antimicrobial-resistance

Resistenzen gegen antimikrobielle Resistenzen werden zunehmend als eine der dringendsten gesundheitlichen Herausforderungen anerkannt, die jedes Jahr weltweit für etwa 1,3 Millionen Todesfälle verantwortlich sind, davon 35 000 in der erweiterten EU. Gemäß des One-Health Ansatzes müssen alle Sektoren zusammenarbeiten - die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt sind untrennbar miteinander verbunden. Tun wir das nicht, werden die Todesfälle eskalieren - neben den menschlichen Tragödien auch wirtschaftlich besorgniserregend. Denn pro Jahr kosten antimikrobielle Resistenzen die erweiterte EU 11 Milliarden Euro.

Quelle: EU-Kommission zur UN-Erklärung: https://health.ec.europa.eu/latest-updates/unga-political-declaration-global-commitment-combat-antimicrobial-resistance-amr-2024-10-01_en?prefLang=de&etrans=de

Zu den staatlich erhobenen Daten zum Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung in Deutschland: www.bvl.bund.de/tabelle_abgabemenge2023

Video

Podcast

Tagesgespräch mit Martin Häusling (Grüne): Artensterben mindestens so schlimm wie Klimawandel
aus der Sendung vom Fr., 27.10.2023 18:05 Uhr, SWR2 Aktuell, SWR2 , Jenny Beyen

https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/martin-haeusling-gruene-artensterben-mindestens-so-schlimm-wie-klimawandel-100.html

 230305 Weltspiegel Getreide Spekulation


Weltweit: Die Zockerei mit Getreidepreisen | WDR für Das Erste

An der Hauptstraße nach Nouakchott sitzt sie und siebt Weizen aus dem Sand – jeden Tag. Was hier liegt, weht der Wind von den LKW. Fatimetou ist eine von vielen Frauen, die so ihren Unterhalt bestreiten. In einem Land, in dem Lebensmittelkosten den Großteil des Einkommens ausmachen, ist jedes Weizenkorn wertvoll. Auch Fatimetou merkt, dass alles plötzlich mehr kostet. Warum aber und wer dahinter steckt, das wisse sie nicht, sagt sie.

Mauretanien ist abhängig von Getreide aus dem Ausland. Wenn die Lieferungen ausbleiben, dann steigt der Preis. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Denn eigentlich wird weltweit genug Weizen produziert. Doch der Rohstoff ist zum Spekulationsobjekt geworden.
Getreide – ein Spekulationsgeschäft

Paris. Hier sitzt die wichtigste Handelsbörse für Weizen in Europa: Euronext. Neben der Rohstoffbörse in Chicago die weltweit größte und wichtigste. Ein Teil der Ernte wird hier gehandelt: Dabei sichern Getreidehändler ihre millionenschweren Weizen-Lieferungen mit Termingeschäften ab, sogenannten Futures.

Lange vor der Ernte verkaufen Landwirte ihre Ware und garantieren die Lieferung einer bestimmten Menge. Händler kaufen für einen fixen Preis und übernehmen so das Risiko einer schlechten Ernte. Steigt der Preis in der Zeit bis zum Fälligkeitstermin, profitiert der Investor. Sinkt er, erhalten die Landwirte dennoch den vereinbarten Preis – eine Art Versicherung. Und normalerweise ein Win-Win-Geschäft für alle Seiten. In Krisenzeiten aber setzen Investoren und Spekulanten auf stark steigende Kurse und treiben mit Milliardensummen den Preis in Rekordhöhen.

Zu diesem Ergebnis kommt die Investigativ-Journalistin Margot Gibbs. Mit einem internationalen Team hat sie Daten analysiert, um zu verstehen, warum sich der Weizenpreis bei Kriegsbeginn innerhalb weniger Wochen verdoppelte. Offenbar pumpten Investoren große Mengen Geld in den Markt. Aber wer? Die meisten Käufer blieben anonym. Lediglich für zwei börsengehandelte Fonds, sogenannte ETFs, konnte Gibbs‘ Team massive Investitionen nachweisen.

"Wir haben herausgefunden, dass die beiden größten Agrar-ETFs in den ersten vier Monaten 2022 für 1,2 Mrd. Dollar Weizen-Futures gekauft haben – verglichen mit 197 Millionen für das gesamte Jahr 2021. Das war sehr auffällig", erzählt die Investigativ-Journalistin. Dass innerhalb kürzester Zeit viel Geld in die Märkte fließt, ließ sich zuvor bereits bei der Finanzkrise und der Schuldenkrise beobachten. Das Problem: Danach sank der Preis nie wieder ganz auf Vor-Krisen-Niveau. Mit drastischen Folgen für die betroffenen Länder. Im Sommer 2022 verschärfte sich die Lage in Mauretanien dramatisch.
Eingriff zwingend notwendig

Mamadou Sall ist verantwortlich für die Lebensmittel-Beschaffung beim World Food Programme. Hunderttausende sind vom Hunger bedroht. Hier gibt es Probleme mit dem Nachschub. Aber nicht, weil der Weizen fehlt, sondern das Geld. Die Auswirkungen von Krieg und überhöhten Weltmarktpreisen – so sehen sie aus: "Die größte Herausforderung ist, dass wir mit den Spenden, die wir bekommen, immer weniger Hilfsgüter einkaufen können. Für das Geld, mit dem wir früher 100 Tonnen Weizen bezahlen konnten, bekommen wir bei den derzeitigen Preisen nur noch fünfzig Tonnen. Und die Auswirkungen für die Hilfsbedürftigen sind massiv."

Um genau solche Fehlentwicklungen künftig zu verhindern, gab es bereits nach der letzten Ernährungskrise 2011 Rufe nach staatlicher Regulierung. "Eine ganze Reihe von Leuten hat sich zu Wort gemeldet, einige sogar aus der Branche und sagten: Dieser Markt ist kaputt. Er folgt kaum noch den Grundsätzen von Angebot und Nachfrage. Er ist eine reine Wettbude", sagt Margot Gibbs. Doch sämtliche Regulierungsversuche verliefen weitgehend im Sande.

Im Haushaltsausschuss des EU-Parlamentes saß auch damals schon Martin Häusling. Er kann sich noch gut an die Debatten der vergangenen Jahre erinnern. Die Diskussion war am gleichen Punkt wie heute. Für den gelernten Bio-Landwirt sind deshalb auch die Forderungen noch die gleichen wie damals. "Wir müssen als erstes eine Spekulations-Bremse einziehen, wenn wir merken, da wird offensichtlich darauf spekuliert, dass der Preis steigt. Da muss die Politik eingreifen können und den Preis müssen wir dämpfen."
Große Konzerne mit zu viel Macht

Doch das Problem reicht tiefer. Ein Grund für die Einladung zur Spekulation in Krisenzeiten liegt in der globalen Marktkonzentration: Fünf internationale Agrarkonzerne teilen sich untereinander drei Viertel des Welthandels an Agrarrohstoffen. Es sind die sogenannten ABCD-Konzerne: Archer Daniels Midland, Bunge, Cargill und Louis Dreyfus. Zusammen mit dem chinesischen Agrargigant Cofco bilden sie die "Big Five", die Großen Fünf. Wie viele Millionen Tonnen Weizen in ihren Lagern wartet, ist Geschäftsgeheimnis. Zu einer Veröffentlichung sind sie nicht verpflichtet. Eine Einladung für Spekulanten.

"Ja, wir müssen uns überlegen, wie wir die Macht sozusagen von diesen großen Konzernen auch ein Stück weit eindämmen. Dass wir sehen, dass die nicht das ganze Geschäft übernehmen, sondern dass wir zum Beispiel auch dafür sorgen, größere Reserven in staatlicher Hand zu haben", sagt Martin Häusling.

Passiert nichts, dann bleibt der lebenswichtige Rohstoff Weizen Spekulationsobjekt und Druckmittel im politischen Poker: Nach dem Getreideabkommen zwischen Russland und der Ukraine fiel der Weizenpreis. Doch in wenigen Tagen läuft das Abkommen aus. "Die Gefahr ist, wenn das Getreideabkommen nicht verlängert wird, dann stehen wir tatsächlich wieder vor der Frage: Wie kommt das ukrainische Getreide auf die Märkte? Und dazu haben wir noch das Problem, dass irgendeine Handelsroute geschlossen ist, die Spekulationen anfangen und der Getreidepreise durch die Decke geht", erklärt Häusling weiter.

Doch selbst wenn weiterhin ukrainische Weizenschiffe ablegen können, die nächste globale Krise wird kommen – ob Krieg, Naturkatastrophen, Epidemien – und mit ihr die Spekulation.

Autor:innen: Tatjana Mischke / Martin Herzog

Stand: 05.03.2023 19:12 Uhr

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